Bürgerräte als Herzensthema
Die Studentin Kira Hoffmann aus Freiburg engagiert sich seit 2020 für zufällig geloste Bürgerräte. Hier erklärt sie, warum Bürgerräte für sie ein Herzensthema sind.
„Ich gehöre zu den wahrscheinlich nicht einmal 1 Prozent der privilegiertesten Menschen auf der ganzen Welt. So viele Freiheiten und Möglichkeiten wie ich haben nicht viele. Manchmal kann ich es selbst kaum glauben, dass es als Studentin aktuell meine Hauptaufgabe sein darf, mir Wissen anzueignen und dass ich mir im Rahmen von Studienprojekten und Freiwilligenarbeit Zeit nehmen darf für Ideen und Projekte, wie man die Welt zumindest ein Stück besser machen kann. So vielen Menschen bleiben diese Möglichkeiten verwehrt.
Bürgerräte packen Herausforderungen bei der Wurzel
Ich durfte bereits an vielen verschiedenen Projekten teilhaben, die alle die Begegnung von Ungerechtigkeiten in den Mittelpunkt stellten. Während ich dabei viel Erfahrung sammeln durfte, packte mich keines dieser Projekte jedoch so sehr wie jenes auf das ich vor gut anderthalb Jahren stieß: der Bürgerrat. Seitdem ich von der Existenz dieses Formats erfuhr, ist der Bürgerrat zu meinem Herzensthema geworden. Denn: Während es in dieser Welt mehr als genug Ideen gibt, die lediglich auf Symptombekämpfung ausgerichtet sind, packt der Bürgerrat die Herausforderungen bei der Wurzel. Er wirkt der gesellschaftlichen Spaltung aktiv entgegen, indem er für Austausch und Konsensfindung sorgt, einen Raum bietet, in dem sich Menschen gegenseitig wahrnehmen, zuhören und sich selbst als aktive Mitglieder der Gesellschaft begreifen.
Seit anderthalb Jahren nun gebe ich die meiste meiner freien Zeit neben Uni, Praktika und Werkstätigkeit in zwei Initiativen hinein, in denen ich mich mit vielen anderen für die Etablierung von lokalen Bürgerräten einsetze. Die eine agiert in meiner ehemaligen Studienstadt Konstanz, die andere in meiner neuen Studienstadt Freiburg. In diesen Initiativen arbeite ich mit wundervollen Menschen aus unterschiedlichen Berufen, komplett unterschiedlichen Alters und Geschlechts zusammen.
Bürgerräte bringen Menschen zusammen
Und genau das ist auch die Intention des Bürgerrates selbst: Er bringt Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen zusammen. Menschen, die sich vermutlich niemals begegnen würden, da sie in komplett unterschiedlichen Welten leben und ihre Meinungen dementsprechend oft in ihren jeweiligen Filterblasen entwickelt haben. Auch Menschen, die das Gefühl haben, noch nie wirklich gehört oder gesehen zu werden, Menschen, die sich sonst am Rande der Gesellschaft aufhalten und die womöglich jegliches Vertrauen in die Politik bereits verloren haben, können durch einen Bürgerrat endlich zu Wort kommen und teilhaben.
Während in den Parlamenten vor allem Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen sitzen, kann das Los jede:n auswählen und auf diese Weise möglichst die Vorstellungen, Ideen und Interessen der breiten Gesellschaft aufzeigen. Bürgerräte bereichern und ergänzen die bestehenden Organe der repräsentativen Demokratie, indem sie es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, aktiv mitzugestalten. Letztendlich wird dadurch das wechselseitige Verständnis verbessert, sowohl von Seiten der politischen Entscheidungsträger für die Interessen der Bürger, als auch von Seiten der Bürger für politische Prozesse und Entscheidungen. Der Bürgerrat kann den gewählten Abgeordneten die Möglichkeit geben, die Bevölkerung sozusagen „anzurufen“.
Wandel darf nicht von oben diktiert werden
Gerade bei umstrittenen Themen sollten Bürgerräte meines Erachtens nach der Ursprung der Lösungsfindung sein. Vor uns liegen gewiss keine einfachen Zeiten. Die Klimakrise steht uns nicht mehr nur bevor, wir sind bereits mittendrin. Hierfür braucht es einen tiefgreifenden Wandel. Doch dieser Wandel kann und darf nicht einfach so von oben diktiert werden. Wir dürfen nicht rein technokratisch denken und annehmen, dass wir uns mit dem gleichen System aus der ökologischen Katastrophe herauswinden können, mit dem wir uns erst hineinmanövriert haben.
Es braucht nicht nur technische Reparaturen. Die Klimakrise ist ein Gerechtigkeitsproblem. Bestimmte Regionen und Schichten werden viel eher betroffen als andere. Also sollten auch möglichst alle Gesellschaftsgruppen mit einbezogen werden, um den Lösungsraum zu erweitern und geeignete Maßnahmen zu finden. Damit wir langfristig denken können, brauchen wir einen transformativen Wandel, der von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden muss. Wandel muss von unten, aus einer informierten und mutigen Zivilgesellschaft, mitgestaltet werden. Hierauf wirkt der Bürgerrat hin.
Unterstützung für die Bundespolitik
Aus all diesen genannten Gründen bin ich zutiefst davon überzeugt, dass losbasierte Bürgerräte die Bundespolitik als beratendes Instrument unterstützen können, um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern.“